Denkmalschutz

Die St. Johannes-Kapelle in Gerkerath. Zeichen für gelebten Denkmalschutz
Altbekanntes?


In Gerkerath, einer kleinen Ortschaft im Mönchengladbacher Stadtteil Rheindahlen-Land, steht am markanten Schnittpunkt der Dorfstraßen nach Rheindahlen, Kothausen und Gerkerathwinkel, die kleine Kapelle St. Johannes. Sie geht zurück auf eine erste Andachtsstätte, die sich unweit auf dem 2010 neu gestalteten Platz vor der Kapelle befunden hat, und die bereits 1839 abgerissen wurde.
Der heutige Bau entstand zwischen 1850 und 1852 als Ziegelsteinbau, ehe er 1920, nach Gründung eines Kirchbauvereins, durch ein Querschiff, an das sich ein kleiner, rechteckiger Altarraum anschließt, erweitert wurde. Das leicht gegenüber dem Lang-haus erhöhte Querschiff erhielt genau wie Schiff und Chorbereich ein Satteldach. Ihr endgültiges Erscheinungsbild erhielt die Kapelle um 1930 mit dem Anbau zweier niedriger, flachgedeckter Seitenschiffe sowie mit der Erweiterung der Sakristei Ende der 1950er Jahre, die, um den Chorbereich herumgeführt, nun auch den östlichen Ab-schluss des Gebäudes bildet. Die in mehreren Bauphasen entstandene Kapelle, deren Erbauer bis auf den Mönchengladbacher Architekt Peter Rademacher, der für die letzte Maßnahme verantwortlich zeichnete, unbekannt sind, zeugt vom Anspruch der Gemeinde, ein repräsentatives Gotteshaus zu errichten und kontinuierlich daran weiterzubauen. Umfangreichere Renovierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen fan-den nach 1964, 1973 noch bis 2022 (u. a. Reparatur des schiefergedeckten Dach-reiters) statt.
Mal zum Vergleich…
Verglichen mit den anderen Kapellen, die sich in fast allen Dörfern und früheren Hon-schaften um Rheindahlen aus dem 18. und 19. Jahrhundert erhalten haben, sticht die Gerkerather Kapelle allein schon wegen ihrer Dimensionen als mehrschiffiger Bau aus diesem Kreis hervor. Doch auch die Verwendung ganz unterschiedlicher Materialien und formaler Stilelemente hebt sie von jenen Kapellen ab, die es, wenn auch aus
unterschiedlichen Zeiten, beispielsweise in Broich, Genhodder, Genholland oder Gün-hoven gibt. Diese sind manchmal als Sichtfachwerk, manchmal als reiner Ziegelstein-bau mit oder ohne Natursteinelementen, manchmal mit oder ohne historisierende For-men, wie etwa Spitzbogenfenster, errichtet worden. In Gerkerath fallen zusätzlich die verputzte Fassade, die den Eingangsbereich der Kapelle durch die beiden überdach-ten Eingänge und das zentrale Spitzbogenfenster besonders akzentuiert sowie die durchweg unterschiedlich gestalteten farbigen Bleiglasfenster ins Auge. Diese sitzen im Lang- und im Querhaus zudem in gotisierenden, zweibahnigen Lanzettfenstern aus Natursteingewänden, die sich wiederum deutlich von der anschließenden Ziegelwand absetzen. Bis auf die Oculi in den beiden Giebelfeldern des Querschiffes treten alle Fensterbereiche gegenüber der Ebene der Außenwand nischenartig zurück, was dem gesamten Baukörper zusätzliche Plastizität verleiht.
Und sonst so?
Was an Sakralbauwerken in der kurzen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen möglich war, zeigen exemplarisch die beiden mit zu den bedeutendsten Bauwerken Mönchen-gladbachs zählenden Kirchen von Dominikus Böhm (1880-1955). Gemeint sind Kloster und Kirche St. Kamillus aus den Jahren 1928-1932 und die fast zeitgleich errichtete Pfarrkirche St. Franziskus von 1929-1933 in Rheydt-Geneicken. Kurz nach der zweiten Erweiterung der Kapelle in Gerkerath vollendete 1933 schließlich der aus Österreich stammende Architekt Clemens Holzmeister (1886-1983) mit St. Peter in Mönchenglad-bach-Waldhausen (heute Kletterkirche) einen bereits heute ikonisch gewordenen Bau. Materialität und Plastizität der Baukörper, ihr Verhältnis zueinander und die nur sehr sparsam eingesetzte Ornamentik sind Kennzeichen jener Epoche, die mit dem Begriff Neues Bauen/Neue Sachlichkeit oder als öffentlichkeitswirksamstes Label „Bauhaus“ einhergehen. Obwohl der Vergleich mit den genannten Kirchen und der kleinen Ka-pelle in Gerkerath nicht ganz gerecht erscheint, lassen sich daraus doch neue Erkennt-nisse zu einer Phase des Bauens zwischen den Weltkriegen gewinnen, die in Mön-chengladbach allzu lange im Schatten der Gründerzeit stand. Hier stehen wir erst am Anfang unserer Forschungen. Wie sahen Sakralbauten aus, die nicht den Anspruch
größerer Pfarrkirchen zu erfüllen hatten? Was lässt sich über den zeitgleichen Woh-nungsbau sagen? Wer waren die Auftraggeber oder die Architekten, die heute besten-falls im Schatten der berühmt gewordenen Kollegen stehen, wenn sie nicht ganz in Vergessenheit geraten sind? Als Mosaikstein kann auch die Gerkerather Kapelle ihren Anteil dazu beitragen.
Was heißt hier Denkmalschutz…
Ende des Jahres 2000 wurde die Johanneskapelle in die Denkmalliste der Stadt Mön-chengladbach (Nr. G 052) aufgenommen. Nicht allein die Beurteilung des Baukörpers war für die Begründung des Denkmalwertes der Kapelle ausschlaggebend. Auch die in Teilen künstlerisch qualitätvolle Ausstattung mit Säulenretabel (vermutlich aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts), einer Triumphkreuzgruppe (wohl ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert) sowie eine Reihe an Holzskulpturen (zum Teil aus der Barockzeit) und noch andere Ausstattungselemente fanden besondere Erwähnung. Hinzu kom-men die durch das Engagement Einzelner über viele Jahre zusammengetragenen his-torischen Zeugnisse und Publikationen, die die frömmigkeits- und ortsgeschichtliche Bedeutung der Kapelle herausarbeiteten. In der Zusammenschau erwächst daraus der besondere Schutz, den sich die Kapelle als denkmalgeschütztes Objekt mit mehr als eintausend anderen Bauwerken in Mönchengladbach teilt. Sie alle stehen für das, wo-her wir kommen, um zu erkennen, wohin wir gehen wollen.
Wozu das Ganze?
Denkmalschutz fordert, jeden einzelnen von uns! Er ist nicht Mittel zum Selbstzweck, wie man ihn über viele Jahre missverstanden oder gar verunglimpft hat. Denkmal-schutz ist nicht willkürlich, er ist an wissenschaftliche Maßstäbe bei der Erforschung von Denkmälern und vor allem an demokratische Gesetze gebunden (Denkmalschutz-gesetz Nordrhein-Westfalen in seiner gültigen Fassung vom 22.06.2022). Damit setzt
er auf Dialog und Kompromissbereitschaft. Er liegt in unser aller Interesse! Er ist ziel-gerichtet, zukunftsorientiert und nachhaltig, weil er unsere gebaute Umwelt, weil er Denkmäler durch ihre sinnvolle Nutzung als maßgebliches Ziel des Denkmalschutzes erhalten möchte. Veränderungen werden möglich, um das Objekt in eine zeitgemäße Zukunft zu überführen. Er bedeutet im Grund das, was Günther Behnisch (1922-2010) – wiederum einer jener Architekten, die zu den bedeutendsten des 20. Jahrhunderts zu rechnen sind –, bereits 1989 bei einem Gespräch zum Thema Demokratie und Architektur geäußert hat:
„Werke dauern lange, so lange, wie sie uns beschäftigen.
Je länger sie dauern, umso reicher können sie werden.
Was fertig ist, was niemanden mehr berührt, ist am Ende.“
In der Gerkerath zeigt sich dieses Verständnis, und ein daraus resultierendes Enga-gement sowohl durch die Gründung eines Fördervereins als auch einer Bürgerinitiative zum Erhalt der Kapelle. Denkmäler gehen durch die Zeit. Sie brauchen unsere Pflege. Die Kapelle in Gerkerath geht durch schwere Zeiten. Die uns eigene menschliche Hy-bris sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht alles wie selbstverständlich für die Ewigkeit gemacht ist oder erhalten werden kann. Ihr persönliches Engagement und Ihre Bereitschaft die Vereine und damit die Kapelle ideell und finanziell zu unter-stützen, kann aber helfen, diese Zeiten zu überstehen und das Denkmal damit viel-leicht doch ein Stückchen an die Ewigkeit heranzurücken.


Dr. Reinhard Köpf (Leiter der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Mönchengladbach)